Gelobter Tag in Oppershofen seit 76 Jahren

Ein Bericht von Alexander Fiolka

Seit den letzten Kriegstagen vor über 75 Jahren wird in Oppershofen der sogenannte „Gelobte Tag“ jährlich am 8. Dezember, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria (Mariä Empfängnis) gefeiert. Je länger diese unheilbringende Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückliegt, desto wichtiger ist es, auf solche Ereignisse, wie sie damals in Oppershofen stattfanden, zurückzublicken. Denn gerade für die jüngeren Generationen, die diese Zeit nicht miterlebten, ist es von besonderem Wert, daran erinnert zu werden. Seinen Ursprung hat dieser Tag in einem feierlichen Gelöbnis, das der damalige Pfarrer von Oppershofen, Dr. Friedrich Winkler (1939-1951), mit der gesamten Gemeinde am 8. Dezember 1944 feierlich versprochen hat. In der Ortschronik von Oppershofen schreibt Pfr. Dr. Winkler zu diesem Tag: 

„8. Dez. 44. Gelobter Tag. Nach den Fliegerangriffen in der Umgebung unserer Gemeinde ist von verschiedenen Seiten der Wunsch ausgesprochen worden, ein feierliches Gelöbnis zu machen, um unsere Gemeinde dem besonderen Schutze Gottes zu empfehlen. Diesem Wunsch entsprechend wurde in der ganzen Gemeinde durch Listen eine Umfrage gehalten, ob der Tag der Unbefleckten Empfängnis in Zukunft als „Gelobter Tag“ heilig gehalten werden solle, wenn unsere Gemeinde vor Zerstörung bewahrt bliebe. Sämtliche Familien gaben durch Unterschrift ihre Zustimmung. Am Sonntag, dem 10. Dezember, wurde dann im Hochamt die feierliche Weihe der Gemeinde an das Unbefleckte Herz Mariä vollzogen. Alle Stände gelobten, sich im Geiste der Buße und Sühne zu heiligen. Im Besonderen versprachen die Kinder sich durch Ehrfurcht im Gotteshaus, die Jungfrauen und Jungmänner durch Sittsamkeit und die Erwachsenen sich durch Nächstenliebe auszuzeichnen.“

Schon etwa drei Monate später, Ende März 1945, erlebte die Gemeinde Oppershofen die sicherlich gefährlichsten und angstvollsten Tage während des Krieges. Nachdem die alliierten Truppen, im besonderen die amerikanischen, immer näher rückten, sich in und um Oppershofen aber noch vereinzelt deutsche SS-Angehörige befanden, stand eine militärische Auseinandersetzung wohl kurz bevor und schien unumgänglich. Dass das Drama einer Zerstörung Oppershofens abgewendet wurde, führten die Einwohner auf ihr kürzlich versprochenes Gelöbnis zurück. Was war geschehen? 

Auch hier dienen die Aufzeichnungen von Pfarrer Dr. Winkler in der Ortschronik als gute Quelle, hinzu kommt noch ein Augenzeugenbericht einer Frau, deren Mutter aus Oppershofen stammte und die während des Krieges als Evakuierte in Oppershofen lebte. Ein weiterer Bericht, den ein ehemaliger Lehrer von Oppershofen, Adam Kunkel, der von August 1928 bis April 1929 in Oppershofen tätig war, im Jahre 1956 zum 75jährigen Jubiläum des Gesangverein „Frohsinn“ Oppershofen verfasste, stützt sich weitestgehend auf die Eintragungen von Dr. Winkler, verfeinert diese nur ein wenig und „malt“ sie in seinen Ausführungen rhetorisch aus. 

Vielleicht muss man sich zuerst einmal bewusst machen, welche Veränderungen durch den Krieg auf ein Dorf und eine Ortsgemeinschaft wie Oppershofen hereingebrochen sind. Und so ist die nun folgende Schilderung wohl typisch für Dörfer der Umgebung, aber auch in anderen Gegenden. Kunkel schreibt, dass auf das kleine und eher verschlafene Dorf Oppershofen viel Neues zukam und die Bewohner gefordert waren, mit diesen neuen Situationen umzugehen. So kamen „50 entwurzelte, evakuierte Offenbacher Schulkinder, 40 unzufriedene, hungrige und zu nachtschlafender Zeit einbrechende Kriegsgefangene.“ 

Des weiteren musste nach Kunkel mit folgenden Situationen umgegangen werden:

„Einführung und Schulung der weiblichen Feuerwehr, gehäufte Vermißtenmeldungen, angebliche Vergiftung der Wetter, Anlegen von Splittergräben, Fliegeralarm bei Tag und Nacht, immer empfindlicherer Mangel an Nahrungsmittel und Versorgungsgütern aller Gattungen, auch an Brand und Strom, Einquartierung von orts- und sittenfremden Monteuren, Holzarbeitern und Erntehelfern, viel Unruhe, Verdruß und Prügelei infolge dieser maßlosen Überfremdung unserer homogenen Gemeinde, namentlich durch Fliegerevakuierte aus dem Ruhrgebiet, aus Frankfurt, Offenbach und Trier, die sämtlich aus ihrer Bahn geworfen waren und sich schwer einordnen konnten; endlich mancherlei Angriffe von Tieffliegern auf pflügende Bauern, auf die Bahn und auf Fuhrwerke der Landstraße. Kuhfuhrwerke sausen im Galopp durch die Straßen. Alles steht Kopf.“

Zugespitzt hat sich die Situation zweifelsohne in der Karwoche des Jahres 1945. Beginnend mit dem Palmsonntag, dem 25. März, als die männlichen Jugendlichen der Jahrgänge 1929-30 aus dem heimischen Gaugebiet wegen der Frontnähe nach Thüringen gebracht werden sollten. 15- und 16jährige sollten noch retten, was nicht mehr zu retten war. Ihr Weg endete aber bereits in Friedberg; dort bombardierten amerikanische Flieger die Stadt und ohne jeglichen Befehl zogen die jungen Männer wieder in ihre Heimatdörfer zurück. Ebensolche alliierten Flieger bombardierten auch am selben Tag ein Benzinlager in Wölfersheim, dessen schwarze Rauchsäulen u.a. bis Oppershofen zu sehen waren.

Nachdem am Montag, dem 26. März, erneut Tiefflieger Wölfersheim angriffen und während der Nacht auf Dienstag zahllose deutsche Soldaten auf ihrem Rückzug durch Oppershofen zogen, mussten die vier französischen Kriegsgefangenen in Oppershofen aus der Gefahrenzone weggebracht werden. Am Dienstag, 27. März, ereignete sich in Rockenberg ein schlimmer Vorfall. Tiefflieger warfen drei Bomben, denen vier Männer und eine Frau im Alter von 14 bis 60 Jahren zum Opfer fielen. Es folgte in Oppershofen die Einquartierung von Nachrichtentruppen mit Funkwagen und 400 Panzergrenadieren, die den erst 1940 erbauten Pfarrsaal erst zur Schreibstube, dann zum Lazarett umfunktionierten. Am Ortsausgang wurden Maschinengewehre und Panzerabwehrkanonen aufgestellt, das letzte Haus zum Beobachtungsposten bestimmt und das Nachbarhaus zum Verbandsplatz. Rechts und links der Straße entlang und auf dem Wingertsberg wurden Maschinengewehre eingegraben. Während der Nacht zogen die Soldaten bereits wieder in Richtung Södel ab.

Am Mittwoch, gegen 12 Uhr mittags, kamen diese Einheiten wieder zurück, da im Wald in Richtung Södel „feindliche Panzer gesichtet wurden: Panzer, Geschütz- und Gepäckwagen, Geschütze – alle mit Tannenreisig getarnt – kehrten nach Oppershofen zurück; ferner Sanitätsautos, Pferdefuhrwerke, Pferde in Trupps, Offiziere in Kaleschen, Motorräder, Soldaten zu Fuß. Erneut wurden Panzerabwehrkanonen aufgestellt, eine neben der Kirche, zwei neben der Kolonialwarenhandlung Heller. Von der Bürgermeisterei wurde nun angeordnet: Alle Einwohner gehen in die Keller oder Bunker.“

Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, wann es zu einem militärischen Zwischenfall kommen würde. Denn die Amerikaner waren zweifelsfrei in der nördlichen Gemarkung von Oppershofen im Anmarsch und im Dorf selbst hatte der befehlshabende General von Berg seinen Truppen die „Verteidigung Oppershofens“ angeordnet. Wenn auch weitere Tiefflieger ihre Angriffe flogen und bei der Nonnenmühle und vor Steinfurth Lastkraftwagen in Brand geschossen haben, so kam es jedoch nicht zu der erwarteten kriegerischen und voraussichtlich zerstörerischen Auseinandersetzung, da die Amerikaner nicht weit des Ortes durch den Wald über Münzenberg abzogen. Für die Bürger von Oppershofen stand fest: ihr Gelöbnis vom 8. Dezember, das sie wenige Monate zuvor versprachen, auf dass Gott sie und ihr Dorf beschützen möge, hat geholfen! Gott hat sie erhört! Nun prägte sich dieses Gelöbnis vom Tag der Unbefleckten Empfängnis Mariens noch mehr in das Herz der Oppershöfer ein und die alljährliche Feier am 8. Dezember wurde umso intensiver begangen. 

Am Abend des 28. März zogen die einquartierten deutschen Soldaten, kriegsmüde und erschöpft, ab. Zwei Männer aus Oppershofen, Ludwig Bell und Karl Göbel, brachten General von Berg bei Dunkelheit aus Oppershofen fort in Richtung Wohnbach und zeigten ihm noch den weiteren Weg. Später wurde mitgeteilt, dass General von Berg bei Holzheim erschossen wurde. Gegen vier Uhr nachts hatten, bis auf einige wenige, alle Soldaten Oppershofen verlassen.

Auch die folgenden Tage der Karwoche gingen relativ friedlich vorüber, wenn auch einige heikle Momente des Bangens aufkamen. Wieder ein Grund mehr, an die Erhörung des Gelöbnisses zu glauben. Der Gründonnerstag bescherte den Oppershöfern nun eine neue Situation. Nicht mehr die deutschen Truppen beherrschten das Dorf, sondern ab diesem Tag unterstand Oppershofen den Alliierten. Von 8 bis 11 Uhr rollten in ununterbrochener Kette amerikanische Panzer und Truppeneinheiten aus Richtung Steinfurth durch Oppershofen. Ein deutscher Unteroffizier und Studienrat, der noch den Befehl erhalten hatte, mit 20 jungen Soldaten – 16jährige Schüler und Flakhelfer – am Ortsausgang in Richtung Södel das Dorf zu verteidigen, bat die Einwohner um Zivilkleider für seine Schüler, dass ihnen nichts zustoßen möge. Sofort entsprach man der Bitte des weitsichtigen Unteroffiziers.

Einige Bewohner hissten sogar weiße Flaggen. Dieses Zeichen der Kapitulation und des Friedensangebotes sahen auch einige deutsche Soldaten, die noch in Oppershofen an der St. Anna Kapelle verblieben waren und nun mit einem Auto, vom Bahnhof her kommend, ins Dorf einfuhren, just in dem Moment, als es eine kleine Pause der durchfahrenden Amerikaner gab. Diese acht Soldaten, bewaffnet mit Maschinenpistolen und Panzerfäusten, wollten noch einen letzten Angriff auf die Amerikaner wagen. Gleichzeitig wollten sie die Häuser, an denen die weißen Flaggen gehisst waren, angreifen und die Bewohner erschießen. Einige vernünftige Bewohner des Ortes konnten die Soldaten wieder beruhigen. Im Hinblick auf die bereits erfolgte Gefangenschaft vieler ihrer Kameraden, ließen sie von ihrem Vorhaben ab. 

Am Nachmittag kam erneut ein Zug von amerikanischen Lastautos mit Mannschaften, Proviant und Geschützen aus der Richtung Södel nach Oppershofen, durchquerten die Hasselgasse und fuhren weiter nach Rockenberg. Ein amerikanischer Offizier, begleitet von einem Dolmetscher, errichtete in der Zwischenzeit im historischen Rathaus in Oppershofen ein Büro. Eine seiner ersten Verordnungen war eine nächtliche Ausgangssperre in der Zeit von 18 bis 8 Uhr. Des Weiteren müssten Waffen, Fotoapparate und Ferngläser auf der Bürgermeisterei abgeliefert werden. 

Am Karfreitag, dem 30. März, wurden in Rockenberg von Pfarrer Aloys Renkel (1933-1956) die wenige Tage zuvor beim Bombardement verstorbenen Opfer beerdigt. Noch immer fuhren amerikanische Panzer und andere Fahrzeuge durch das Dorf. Nachts versuchten einige versprengte deutsche Soldaten, sogar einige SS-Angehörige und Offiziere, von den Bewohnern Essen und Trinken zu bekommen. Seit Karsamstag wurden im Wald Gewehre, Munition, anderweitiges Heeresgut und sogar Fuhrwerke gefunden; drei herrenlose Pferde wurden auch im Wald eingefangen. 

So konnte Ostern 1945 ganz im eigentlichen Sinn gefeiert werden: mit Freude und innerer Ruhe. Die Bewohner konnten im Hinblick auf die Auferstehung des Herrn eine eigene Auferstehung im wahrsten Sinne des Wortes begehen, eine Auferstehung aus Unterdrückung und Knechtschaft in erwartetem und eintreffendem Frieden.