Pfarrer, maach et joot!
Münzenberg (Müh). – Mit Bedenken sah ihn Gerüchten zufolge seinerzeit das eine oder andere Gemeindemitglied in Münzenberg und später auch in Gambach kommen. 2016 ließen ihn die Menschen von Mariä Himmelfahrt und St. Nikolaus Pfarrer Josef Rüssmann mit großem Bedauern in den Ruhestand ziehen. Mit seiner ruhigen, ausgleichenden Art hatte er die Herzen seiner Gemeindemitglieder geöffnet. Mit seiner Geradlinigkeit, seiner Zuverlässigkeit und seinem Respekt Gesprächspartnern gegenüber gewann Josef Rüssmann die Herzen. Nun trauern die beiden katholischen Gemeinden in der Kommune Münzenberg zusammen mit der gesamten Pfarrgruppe um „ihren“ Pfarrer. „Wir sind froh und dankbar, dass er uns so lange betreut hat“, sind sich alle einig.
Über 5 Jahrzehnte lebte Josef Rüssmann seine Berufung. Am 15. Juli 1972 weihte ihn Kardinal Volk in Mainz zum Priester. Seither war er bei den Menschen daheim und bei Gott zu Hause. Diese Kombination schenkte ihm Wurzeln und Flügel gleichermaßen. Irdisch-handfeste Wurzeln, die Josef Rüssmann unterstützten, die ihm anvertrauten Menschen helfend zu begleiten. Himmlisch-segnende Flügel, die ihn nicht verzweifeln liessen, ob so mancher Schwierigkeiten und Enttäuschungen.
Denn die blieben nicht aus in einem 51jährigen Leben als Geistlicher. Insbesondere nicht, da im Mittelpunkt des Schaffens lange Jahre straffällig gewordene Menschen standen. Hier hieß es einen langen Atem haben. Als Gefängnisgeistlicher begleitete er in der JVA Rockenbergvon 1976 bis 2007 Jugendliche während der Haft. Außerdem gründete er eine WG für aus dem Vollzug entlassene Jugendliche in Bad Nauheim. Und mit mehr als einem „seiner Jungs“ stand er weiterhin in Kontakt – einfach so für ein Gespräch, aber auch als Ansprechpartner in Krisensituationen.
Seine ruhige, besonnene Art zu arbeiten zeigte Erfolge und blieb nicht unentdeckt. So blieb es nicht bei der Funktion des einfachen Gefängnisgeistlichen. Sein Rat und sein Fachwissen waren bundesweit geschätzt. Pfarrer Rüssmann fungierte von 1988 bis 1996 für zwei Wahlperioden als Vorsitzender der deutschen Bundeskonferenz der katholischen Seelsorgerinnen und Seelsorger im Justizvollzug.
Zusätzlich zu seiner Arbeit in der Gefängnisseelsorge war er seit 1976 Pfarrer von St. Nikolaus in Münzenberg und übernahm mit seiner Dienstentlassung aus dem Knast 2008 auch das Amt des Seelsorgers von Mariä Himmelfahrt in Gambach. Beide Gemeindenrückten unter seiner Regie enger zusammen. Kirchlich wie menschlich. Dies ist in erster Linie ein Verdienst der Person Josef Rüssmanns.
Vier K’s kennzeichneten Josef Rüssmann: Kredo, Kontaktfreude, Konsenssuche und Kontinuität. Mit diesen Eigenschaften berührte und begeisterte er seine Mitmenschen – auch über die Grenzen seiner Kirchengemeinden hinweg. Dies galt sowohl in seiner Funktion als Leiter der Pfarrgruppe Rockenberg als auch in der intensiv gelebten Ökumene in Münzenberg.
Kraft für seine Arbeit schöpfte Pfarrer Josef Rüssmann bei Klassischer Musik. Vor allem aber aus dem Zusammenhalt seiner Familie. Die Geschwister hielten immer engen Kontakt. Global von Europa bis Australien. Bei regelmäßigen Familientreffen und später in der Zwischenzeit über Skype. Nur gut für den engagierten Gottesmann, dass nicht die ganze Familie zerstreut lebte. Seine Schwester Ursula führte ihm von 1981 bis zu ihrem Tod den Haushalt. Für diese familiäre Nähe war Josef Rüssmann sehr dankbar.
Josef Rüssmann hörte zu, schaute hin und baute darauf, den Menschen ihre Eigenheiten zu lassen. Regelmäßiger Info-Austausch auf allen Ebenen seiner seelsorgerischen Tätigkeiten war ihm wichtig. Sein Verständnis von der Führung der ihm anvertrauten Gemeinden basierteauf gegenseitigem Vertrauen. Entscheidend war für Pfarrer Rüssmann, dass Menschen – vom Firmling über die Kommunionkinder bis zu den Senioren – sich frei in ihrem Glaubensräumen entfalten konnten. Freiheit zu handeln, Freiheit für persönliche Entscheidungen – auch die Freiheit, „Nein“ zu sagen – dies bei seinen Mitmenschen zu respektieren, war Pfarrer Josef Rüssmann immer wichtig, zog sich wie ein roter Faden durch seine jahrzehntelange Tätigkeit als Seelsorger. Sicher bedingt durch seine Erfahrungen in der Gefangenenseelsorge, wo der Geistliche zwangsweise mit Unfreiheit konfrontiert war.
Nachhaltig in Erinnerung bleiben wird in Münzenberg definitiv die Technikbegeisterung Josef Rüssmanns. Den jungen Gemeindemitgliedern nötigte er durch seinen altersuntypischen Umgang mit modernen Medien Respekt ab. Und alle gemeinsam begeisterte er Jahr um Jahr in seiner Zeit als leitender Pfarrer in Münzenberg und in Gambach mit seinen rundum beeindruckenden Jahresrückblicken. Ganz sicher bleiben von Pfarrer Josef Rüssmann auch ein paar seiner stets augenzwinkernd geäußerten Weisheiten, die der gebürtige Schlesier aus seiner Jugendzeit in Köln mitgebracht hatte. Insbesondere das urkölnische Gesetz „Et hättnoch emmer joot jejange“ (Es ist bisher noch immer gut gegangen.) und die aus dem Vertrauen darauf resultierende Kraft.
Nach seiner Verabschiedung den Ruhestand vor sieben Jahren legte der humorvolle Geistliche nochmal richtig los: Gemeinsam mit dem zu seiner Verabschiedung aus Australien angereisten Bruder und dessen Frau ging es im Sommer 2016 für sechs Wochen in die Heimat von Koala und Wallaby. Doch – „Niemals geht man so ganz“ heißt ein bekanntes Lied, das Trude Herr mit Wolfgang Niedecken von BAP und Tommy Engel (Bläck Fööss) 1987 interpretierte. Und das traf auch auf Pfarrer Rüssmann zu. Da der leitende Pfarrer der Pfarrgruppe Rockenberg dort seinen Amtssitz hat, konnte Rüssmann in seiner vertrauten Umgebung im Pfarrhaus zu Münzenberg bleiben. Und feierte – solange es seine Kräfte zuließen – in Vertretung seiner Nachfolger regelmäßig Gottesdienste in der Pfarrgruppe.
Nun ist Pfarrer Josef Rüssmann am 03.08.23 im Alter von 81 Jahren nach Hause gegangen. Heim zu seinem himmlischen Vater. „Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren und rufen ihm nach: Pfarrer, maach et joot!(Mach es gut)“, so Heike Mühlenbruch für den Gesamtpfarrgemeinderat der Pfarrgruppe Rockenberg. „Seiner Familie gilt unser herzliches Beileid.“
Pfarrer Rüssmann in seinem Element. Hier ein Schnappschuss von 2016 (Text/Foto: Müh).